Späte Einsicht


~ Ein junger Mann lernt vom Nachbarn, was im Leben wichtig ist. ~

Es ist schon eine Weile her, dass Hans den alten Mann sah. Die Universität, die Mädchen, Karriere und das Leben selbst kam ‚dazwischen‘. Genau genommen ist Hans sogar weit weg gezogen im Streben nach seinen Träumen.

Da, im Strom seines geschäftigen Lebens hatte er kaum Zeit über vergangenes nachzudenken, oft nicht einmal für die Frau und den Sohn. Er arbeitete an seiner Zukunft und nichts konnte ihn aufhalten.

Seine Mutter erzählte ihm am Telefon, „Herr Belser ist letzte Nacht gestorben. Am Mittwoch ist die Beerdigung. Erinnerungen blitzten in seinem Gedächtnis auf, wie eine alte Nachrichtenfilmrolle, als er still dasaß im Gedenken an seine Kindheitstage.

„Hans, hast Du mich gehört?“

„Oh, tut mir Leid, Mama. Ja ich höre Dich. Es ist schon so lange her, dass ich seiner gedachte. Es tut mir Leid, denn, genau genommen dachte ich, er sei seit Jahren tot,“ sagte Hans.

Na ja, er hat Dich nie vergessen. Immer wenn ich ihn sah, fragte er mich nach Deinem Ergehen. Er erinnerte sich gern an die vielen Tage, die Du „auf seiner Seite des Zauns“ verbrachtest, wie er es ausdrückte,“ erzählte ihm Mutter.

„Ich mochte dies‘ alte Haus, in dem er lebte,“ sagte Hans.

„Weißt Du, als Dein Vater starb, ist Herr Belser an seine Stelle getreten um dafür zu sorgen, dass eines Mannes Einfluß in Deinem Leben wirkt,“ sagte sie.

„Er ist es, der mich das Schreinern gelehrt hat,“ sagt er, „ich wäre nicht in diesem Beruf, ohne ihn. Er hat viel Zeit aufgewendet, mir beizubringen, was er für wichtig erachtete ...  Mama, ich bin zur Beerdigung da,“ sagte Hans.

So beschäftigt er war, er hielt Wort. Hans nahm den nächsten Flug in seine Heimatstadt.

Herrn Belsers Beerdigung war klein und ohne besondere Ereignisse. Er war kinderlos und die meisten seiner Verwandten waren schon gestorben.

Am Abend vor seiner Heimkehr ist Hans mit seiner Mutter noch einmal in das Nachbarhaus gegangen um es ein letztes Mal zu sehen.   Als er im Hausflur stand, hielt Hans inne.   Es war, als sei er in eine andere Dimension gelangt, in einem Sprung durch Raum und Zeit.


Das Haus war genau so wie er es in Erinnerung hatte.
Jeder Schritt enthielt Erinnerungen, jedes Bild, jedes Möbelstück. Plötzlich erstarrte er

 „Was ist los, Hans?“ fragte seine Mutter
„Das Kästchen ist weg,“ sagte er.

„Was für ein Kästchen?“ fragte Mama.

„Da war immer so ein kleines goldenes Kästchen, das er auf seinem Schreibtisch verschlossen hielt. Ich muss ihn wohl tausend mal gefragt haben, was da wohl drin sei. Alles was er mir verriet, war: „Das was ich am meisten Wert schätze.“

Jetzt war es weg. Alles im Haus war genau wie in Hans‘ Erinnerung – bis auf dieses Kästchen. Er dachte sich, dass es wohl jemand aus der Belser Familie an sich genommen habe.

„Jetzt werde ich nie erfahren, was ihm das Wertvollste war“

„Ich sollte lieber Schlafen gehen, Morgen hab‘ ich einen zeitigen Flug nach Hause, Mama“

Es war wohl zwei Wochen nach dem Tod von Herrn Belser. Als er von der Arbeit heimkam steckte ein Zettel im Briefkasten  „Ein Einschreiben-Päckchen für Sie. Es war niemand daheim. Bitte in den nächsten drei Tagen bei der Hauptpost melden.“ stand darauf.

Gleich am nächsten Morgen holte er das Päckchen. Der kleine Karton war alt und machte den Eindruck als sei er schon vor hundert Jahren abgeschickt worden. Die Handschrift war schwer zu lesen aber die AbsenderAdresse fesselte seine Aufmerksamkeit.

„Herr Harold Belser“ stand dazu lesen.

Hans nahm den Karton in‘s Auto und riss die Verpackung auf. drinnen war das goldene Kästchen und ein Kuvert. Hans‘ Hände zitterten, als er die Notiz darin las.

„Wenn ich gestorben bin, sende bitte diesen Karton und seinen Inhalt an Hans Bennett. Es ist das Ding, welches mir in meinem Leben am meisten Wert war.“ ein kleiner Schlüssel war mit Klebeband auf dem Brief befestigt. Mit rasendem Herzen und tränengefüllten Augen öffnete er vorsichtig das Kästchen.

 

Darin fand er eine hübsche goldene Taschenuhr. Mit langsam über die feine Ätzung des Gehäuses streichenden Fingen löste er die Verriegelung des Deckels.

Innen fand er eingraviert die Worte:

„Hans, Danke für Deine Zeit!  Harold Belser.“

„Das, was er am meisten schätzte — war — meine Zeit.“

Hans hielt die Uhr für ein paar Minuten in der Hand, dann rief er im Büro an und sagte alle Verabredungen der nächsten zwei Tage ab.

„Warum?“ fragte Janet, seine Assistentin.

„ Ich möchte etwas Zeit mit meinem Sohn verbringen“ sagte er.  „Ach, übrigens, Janet ... Danke für Deine Zeit!“


ohne Quellenangabe gefunden im Internet, übertragen ins Deutsche: U.W-M.

Hat es gefallen? ⇒DL als »deine_zeit.zip«